
Szenen einer Eheschließung 2
Lisa war glücklich, auch wenn sich ihr eigentlicher Hochzeitswunsch nicht erfüllt hatte: sie hatte nicht herausgefunden, wer ihr Vater war. Dabei hatte sie im letzten Jahr alles darangesetzt, ihn zu finden und ihn dazu zu bringen, sie zum Altar zu geleiten.
„Ich heiße Euch alle nun herzlich zur Hochzeit von Lisa und Oscar willkommen“, sprach der Priester und blickte zu Lisas Mutter, die sofort von ihrem Platz in der ersten Reihe aufstand.
„Ganz besonders möchte ich auch Lisas Mutter begrüßen, die ja sozusagen Lisas Familie ist.“
Lisas Mutter nahm die Hand ihrer Tochter, Tränen sammelten sich in ihren Augen.
„Mein Kind, ich wusste nicht, wie das passieren konnte, aber dein Vater ist auch unter den Gästen.“
„Mama“, sagte Lisa und konnte nun selbst die Tränen nicht mehr zurückhalten, „Verzeih mir. Das ist alles meine Schuld. Ich habe dein Tagebuch gelesen und herausgefunden, dass drei Männer mein Vater sein könnten. Bitte sei nicht sauer… ich habe alle eingeladen. Ich wollte doch nur, dass mein Vater mich zum Altar führt.“
„Oh Gott Kind, das hast du getan“, rief Lisas Mutter, „Ich hoffe nur, dass du mir eines Tages verzeihen wirst. Ich kann deine Frage nicht beantworten. Alle drei könnten es sein: der Franz, der Josef und auch der Martin. Es waren halt wilde Zeiten damals.“
„Mama, es ist mir egal, dass du damals mit dem halben Dorf im Bett warst“, entgegnete Lisa, „Du warst und bist eine perfekte Mutter. Ich habe dich so lieb…“
Lisas Mutter stieg die Röte ins Gesicht und erklärte den Gästen und dem Priester mit zitternder Stimme, dass sie nicht mit dem halben Dorf geschlafen hatte. Nur war sie eben nicht ganz sicher, wer ihrer drei ehemaligen Liebhaber der Vater von Lisa sein konnte. Irgendwie war vor 25 Jahren alles in ihrem Leben ein wenig durcheinandergeraten.
Drei Männer standen auf und stellten sich zu Lisas Mutter und dem aufgeregten Hochzeitspaar.
„Lisa, wir lieben dich alle gleichermaßen. Können wir nicht jeder zu einem Drittel dein Vater sein?“
Lisa schloss einen Moment lang die Augen, atmete tief durch und wandte sich dann von ihrem zukünftigen Ehemann, dem Priester und ihrer Mutter ab. Dann hob sie entschlossen ihr weißes Kleid vom Boden und schritt durch die kleine Kirche.
„Wo willst du hin, Kind?“, rief ihre Mutter.
Lisa drehte sich noch einmal um, bevor sie das Kirchentor öffnete. Dann rief sie: „Na los, wo bleibt ihr denn? Nun habe ich drei Väter und keiner traut sich, mich richtig zum Altar zu geleiten? Ich warte vor der Kirche auf euch!“
In der ersten „Szenen einer Eheschließung“-Geschichte wurde Simone Dark von „4 Hochzeiten und 1 Todesfall“ inspiriert. Welche Filmszene hat sie in dieser kleinen Geschichte inspiriert? Die Lösung erfahrt Ihr in zwei Wochen!
Simone Dark, Jahrgang 1982, geboren in Freiburg (Deutschland), wuchs in einem Städtchen namens Breisach an der französischen Grenze auf. Sie ist Übersetzerin und (Thriller-)Autorin aus Leidenschaft. Bisher erschienen sechs Romane unter ihrem Namen. Wenn sie gerade einmal nicht Geschichten erfindet, kann sie auch sehr sportlich sein: sie wandert und schwimmt für ihr Leben gerne. Simone lebt seit einigen Jahren mit ihrem Mann in Südtirol.
