
Die kleine Braut
Teil I
Vorgestern Abend beim Abendessen im Familienhotel habe ich versucht, meiner Tochter die Liebe zu erklären. Ich glaube nicht, dass es mir gelungen ist.
Ich bin nicht gut im Erklären, und schon gar nicht, wenn es um solch grundsätzliche Dinge wie die Liebe geht. Mathematik kann ich ihr beibringen, auch fremde Sprachen sind kein Problem. Später werde ich ihr auch in Physik und Biologie helfen, wenn es denn sein muss, oder sogar nächtelang versuchen, mit ihr die Philosophie zu verstehen und vielleicht sogar gemeinsam mit ihr die Politik zu hinterfragen. Mein Wissen kann ich weitergeben, daran besteht kein Zweifel.
Aber wenn ich danach gefragt werde, die Liebe zu erklären, dann bin ich überfragt und stammle das kleine Mädchen mit den braunen Zöpfen verlegen an. Vielleicht liegt es daran, dass die Liebe so irrational ist, dass man sie eben nicht wie eine Gleichung darlegen kann und auch keine Grammatikregeln helfen, wenn man sie verstehen möchte. Die Liebe ist einfach da, oder eben nicht. Die Liebe zu meiner Tochter existiert: die Liebe zu ihrem Vater leider nicht mehr.
„Liebe ist etwas, was dich umhaut“, sagte ich zu ihr und meine kleine Lena machte ein erstauntes Gesicht.
„Wie fühlt sie sich an?“, fragte sie mich.
„Sie sorgt dafür, dass du alles andere um dich herum vergisst. Wenn du jemanden liebst, dann ist der Rest der Welt einfach nur egal. Du willst nur noch mit diesem Menschen zusammen sein.“
„Ist Liebe etwas Schönes?“
„Wenn sie echt ist, ist sie super und kann für immer halten. Natürlich gibt es dafür keine Garantie, aber manche Menschen lieben sich so sehr, dass sie für immer zusammenbleiben. So wie deine Großeltern zum Beispiel.“
„Aber letztes Mal habe ich gehört, dass sie gestritten haben. Bleiben sie jetzt nicht mehr zusammen?“
„Natürlich bleiben sie zusammen. Streiten gehört zur Liebe dazu, man kann ja nicht immer einer Meinung sein. Du bist ja auch dagegen, Karotten zu essen. Ich bin der Meinung, dass du davon sehr viel mehr essen solltest. Hast du mich deshalb nicht mehr lieb?“ Meine Beispiele waren schon immer eher dürftig.
Lena schüttelte heftig den Kopf.
„Doch, Mama, ich hab’ dich lieb. Aber wenn du die Karotten weglassen würdest, hätte ich dich noch viel lieber.“
Ich musste lachen. Dann bekam meine Tochter einen seltsam weisen Gesichtsausdruck, eben den, den nur sechsjährige Kinder haben. Gänsehaut machte sich auf meinen Armen breit. Sie biss in ihr Brot, auf das sie vorher ein wenig Streichkäse mit der Hand gedrückt hatte, kaute andächtig und schluckte. Sie öffnete ihren kleinen Mund, dachte noch ein paar Sekunden nach und sagte dann leise, aber deutlich:
„Ich habe mich verliebt, Mama. Und ich will heiraten.“
…To be continued
Simone Dark, Jahrgang 1982, geboren in Freiburg (Deutschland), wuchs in einem Städtchen namens Breisach an der französischen Grenze auf. Sie ist Übersetzerin und (Thriller-)Autorin aus Leidenschaft. Bisher erschienen sechs Romane unter ihrem Namen. Wenn sie gerade einmal nicht Geschichten erfindet, kann sie auch sehr sportlich sein: sie wandert und schwimmt für ihr Leben gerne. Simone lebt seit einigen Jahren mit ihrem Mann in Südtirol.
