
Simone Dark – Ringstory 2
Das Geheimnis des alten Sekretärs
Teil IV
Ich verbrachte den Dienstag, den Mittwoch und auch den gesamten Donnerstag im Antiquitätengeschäft und gab mir größte Mühe, den alten Sekretär nicht zu verkaufen. Mein Mann hatte seinen Wert auf mehrere tausend Euro geschätzt und mir streng ins Gewissen geredet, ihn unbedingt zu verkaufen. Mein Mann und ich waren selten anderer Meinung, doch hierüber gerieten wir fast in Streit. Ich war beleidigt und sprach nur das Nötigste mit ihm. Den Kunden führte ich alle Stücke vor und ging nicht einmal auf den alten Herrn ein. Von meinem Mann erntete ich einen Strauß böser Blicke.
Am Donnerstagabend um sieben vor sieben betrat eine ältere Dame unseren Laden. Ihren Schoßhund hatte sie vor der Tür gelassen, er döste in der Abendsonne. Sie fächerte sich Luft zu und begrüßte mich und meinen Mann freundlich. Dann betrachtete sie ein Bild, dass schon seit Jahren an unserer Wand hing.
Sie fragte nach dem Künstler und ließ sich von mir beraten. Sie lauschte meinen Worten aufmerksam, dann plötzlich schien sie abgelenkt. Sie sah mich nicht mehr an, ihr Blick wanderte hinter meinen Rücken, dann füllten sich ihre alten Augen mit Tränen. Ich sah sie fragend an, sie fasste sich an ihr Herz und ich befürchtete schon, die Hitze habe ihr zugesetzt. Ich bat ihr einen Stuhl an, doch sie winkte ab. Mit langsamen Schritten ging sie auf den Sekretär zu und hielt sich an seiner Schreibfläche fest. Eine Träne landete auf seinem alten, dunklen Holz.
Sie erklärte mir mit gebrochener Stimme, dass sie diesen Tisch einst von ihren Großeltern geerbt hatte. Als sie sich als junge Frau entschlossen hatte, das Land für eine Weile zu verlassen, hatte sie ihn schweren Herzens und für teures Geld verkaufen müssen. Sie hatte um ihn getrauert, ihn so sehr geliebt. Es war, als hätte sie ein Stück ihres Herzens verkauft.
Ich reichte der alten Dame kurzerhand den Arm und bat sie, einen Kaffee mit mir zu trinken. Gleich neben dem Geschäft, in der kleinen Bar an der Promenade. Sie willigte ein und wir setzten uns an einen Tisch. Aus meiner Tasche holte ich den Ring und den Brief und entschuldigte mich bei ihr, dass ich das Briefgeheimnis verletzt hatte. Sie verzieh und dankte mir. Dann nahm sie den Ring an sich und streifte ihn über ihren linken Ringfinger. „Wie schön er glänzt“, sagte Martha und küsste ihn zärtlich.
Martha erzählte mir ihre Geschichte und von der Liebe zu Josef Oberberger. Das Schicksal hatte sie nicht mehr zusammengeführt. „Ich wünsche mir nur, dass er glücklich geworden ist“, sagte sie leise und trank ihren Kaffee. „Darf ich mich noch von dem alten Sekretär verabschieden?“, fragte sie. „Selbstverständlich“, antwortete ich und betrat mit Martha das Geschäft, in dem mein Mann gerade einem Kunden die Hand gab, um ihn zu verabschieden.
„Vielen Dank für Ihr Vertrauen, Herr Oberberger“, sagte mein Mann zu ihm, „Ich werde mich um die Möbel kümmern. Noch einmal mein herzliches Beileid. Sie werden sehen, alles wird gut werden.“
Lesen Sie auch den ersten, den zweiten und den dritten Teil der Ringstory
Photo Credits: Jazmin Quaynor – Unsplash
Simone Dark, Jahrgang 1982, geboren in Freiburg (Deutschland), wuchs in einem Städtchen namens Breisach an der französischen Grenze auf. Sie ist Übersetzerin und (Thriller-)Autorin aus Leidenschaft. Bisher erschienen sechs Romane unter ihrem Namen. Wenn sie gerade einmal nicht Geschichten erfindet, kann sie auch sehr sportlich sein: sie wandert und schwimmt für ihr Leben gerne. Simone lebt seit einigen Jahren mit ihrem Mann in Südtirol.
