
Simone Dark – Ringstory 2
Das Geheimnis des alten Sekretärs
Teil II
Ludwig und Gerhard fluchten leise und ächzten laut, als sie den schweren Sekretär ins Lager brachten. Gerhard fragte mich aus, ob ich denn wirklich niemanden gesehen hatte und von wem der Tisch denn nun stammen könne. Ich beteuerte meine Unwissenheit und bat ihn, sich heute Vormittag um die Kunden zu kümmern, ich würde ihn auf Vordermann bringen. Und ihn nicht verkaufen, doch diesen Gedanken sprach ich nicht aus. Gerhard kannte mich gut genug, um zu verstehen, dass dieser Sekretär bereits seit der ersten gemeinsamen Minute mir gehörte.
Gerne, Elisabeth, sagte er, gab mir ein Küsschen und ließ mich mit meinem neuen Freund allein. Ich begann, vorsichtig seine Schubladen zu öffnen und zu säubern. Schublade Nummer eins bis elf waren leer, bis auf ein paar Staubkrümel befand sich nichts darin. In Schublade Nummer zwölf fand ich einen verschlossenen Brief, der von einer Frau Unterholzer an einen gewissen Herrn Oberberger gerichtet war. Beim Öffnen des Briefes kollerte ein silberner Ring in meine Hand. Ich legte ihn zurück in die Schublade, in der der alte Herr sein Geheimnis bewahrt hatte. Dann begann ich, mich in das Leben der anderen einzumischen. Ich las die Zeilen, die Frau Unterholzer an Herrn Oberberger vor über fünfzig Jahren geschrieben hatte.
Lieber Josef, es fällt mir nicht leicht, dir diese Zeilen zu schreiben. Du liebst mich, hast du gesagt. Und dass du mich heiraten willst. Ich habe so lange darüber nachgedacht, so viele Nächte wachgelegen, mich im Bett hin- und hergewälzt. Ich habe mir unser gemeinsames Leben ausgemalt und mir vorgestellt, Kinder mit dir zu haben. Mit dir zu verreisen, romantische Nächte mit dir zu verbringen und dir in schlechten Zeiten beizustehen. Ich habe es wirklich versucht, Josef, glaub mir. Doch es ist mir nicht gelungen. Ich kann es nicht, ich kann dich nicht heiraten. Noch nicht. Ich werde von hier weggehen und dir den Ring zurückschicken. Nenn mich einen Feigling, doch ich bringe den Mut nicht auf, ihn dir persönlich wieder zu geben. Wer weiß, vielleicht führt uns das Schicksal ja doch noch einmal zusammen. In Liebe, deine Martha. Ich werde dich nie vergessen.
Ich musste mich setzen. Ich nahm den Ring aus der Schublade und wärmte ihn mit meiner Hand. Er war nie getragen worden. Martha Unterholzer hatte ihn mit dem Brief in den Sekretär gelegt und dann nie versendet. Was war aus ihr geworden, und was aus Josef Oberberger? War sie einfach abgereist und hatte ihn unwissend verlassen? War Josef nun genauso einsam wie dieser alte Sekretär? Wer hatte seine Tränen getrocknet? Oder hatte das Schicksal sie doch noch einmal zusammengeführt, so wie Martha es prophezeit hatte?
…To be continued
Simone Dark, Jahrgang 1982, geboren in Freiburg (Deutschland), wuchs in einem Städtchen namens Breisach an der französischen Grenze auf. Sie ist Übersetzerin und (Thriller-)Autorin aus Leidenschaft. Bisher erschienen sechs Romane unter ihrem Namen. Wenn sie gerade einmal nicht Geschichten erfindet, kann sie auch sehr sportlich sein: sie wandert und schwimmt für ihr Leben gerne. Simone lebt seit einigen Jahren mit ihrem Mann in Südtirol.
